Mittwoch, 18. April 2007

Endlich systemisch!

Nach einjähriger postdiplombedingter Abstinenz habe ich mir ein Fachbuch zugeleget. Es ist neu erschienen, sieht gut aus. Bunt in großem Format. Es heisst "Einfach systemisch!" und bietet "Systemische Grundlagen & Methoden für die pädagogische Arbeit."

Was soll ich sagen. Vermutlich habe ich nach meiner langen Abstinenz zu viel erwartet. Der Theoretiker hat die wesentlichen Dinge schon woanders erfahren (Ich sach nur: Freud). Die Im Handlungsteil vorgestellten Methoden deuten auf einen ekkletisch-individual-gruppenempathischen-gestaltpädagogikanalytischen Ansatz hin, der klientenzentriert vorgeht und dabei prozess- und ergebnisorientiert handelt.

Wahrscheinlich würde ich es mir nicht mehr kaufen (24.-). Alleine wegen den Bildern. Erwachsene werden in unangenehmen Situationen gezeigt. In einem über und über mit Flipchartpapier behängten Raum führen sie, mit Namen auf Klebeband angepappt, ein flottes Kennenlerntänzchen auf uvm. Ein Grund mehr, mich frühzeitig um die Steuererklärung zu kümmern.

Wie auch immer. Wer sich für systemische Ansätze interessiert braucht dieses Buch sicher nicht. Lieber das Geld sparen (und noch mehr) und ein paar Seminare bei den Autoren (oder anderen) besuchen. Die machen einen praxisnahen kompetenten Eindruck.

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Amidelanuit - 19. Apr, 10:09

oh schade....ich hoffte, nach 8 jähriger postdiplom abstinenz, mal wieder auf ein fachbuch gehofft, dass sich lohnt zu lesen.....aber alleine der satz "In einem über und über mit Flipchartpapier behängten Raum führen sie, mit Namen auf Klebeband angepappt, ein flottes Kennenlerntänzchen auf uvm." zwingt auch mich eher in die steuererklärung als in die buchhandlung:)
danke für die rezension!

jochmet (Gast) - 20. Apr, 07:07

Keine Ursache. Vielleicht war ich aber auch ignorant und gemein und das Buch würde dir ganz toll gefallen. Wie wärs mit einer Bestellung "zur ansicht"? ;-)
georg (Gast) - 19. Apr, 22:15

A propos systemisch. Da sich hier anscheinend ExpertInnen tummeln_ Habt Ihr schon mal was von Familienaufstellung gehört? Was haltet Ihr davon?

jochmet (Gast) - 19. Apr, 23:54

Das hat anscheinend was damit zu tun. Eigentlich tut man das dort in einem längeren Therapieprozess (Integration und so). Eine gute Sache, wenn man damit umzugehen weiss (meine Meinung).

Durch einen gewissen Herrn Hellidingsbums. ist das ganze populär, spektakulär und umstritten geworden. Jetzt tummeln sich unzählige in Crashkursen ausgebildete "Familienaufsteller" und "kurieren" an Wochenenden das Kleinbürgertum von seinen Alltagsneurosen. Kurz zusammengefasst.
Amidelanuit - 20. Apr, 09:58

s. jochmet. ich glaub, ich hab das hier auch schon mal kommentiert, das familienstellen.
wenn du das vor hast georg würde ich dir raten, dass nur bei einem ausgebildeteten therapeuten durchführen zu lassen. also mit klassischer ausbildung (dipl.psych./analytische/gesprächstherapeutische/.....ausbildung+anerkennung im berufsverband der psychologen) es gibt zahlreiche nach dem heilpraktikergesetz ausgebildete "psychologen" die dann mal eine wochenendfortbildung in familienstellen gemacht haben und meinen, sie könnten tatsächlich die dynamik, die dabei entsteht auffangen und bearbeiten. ich will nicht hetzen, es gibt sicher auch da sehr gute, aber die sind schwer zu finden und bei den o.g. voraussetzungen widerrum gibts sicher auch schwarze schafe, aber allein die ausbildung kann das etwas verhindern.
und sobald jemand "nach hellinger" oder "nach prekop" arbeitet, würde ich die finger von lassen-keine gute menschen......die beiden
georg (Gast) - 21. Apr, 10:14

Hmm, ich würde Eure Antworten dann mal so aufnehmen: Kann gut sein, kommt aber auf die Therapeutin drauf an.

Ich selbst ziehe eine Aufstellung für mich nicht in Erwägung. Nachdem, was ich bisher gehört habe, hat sich bei mir diesbezüglich ein ungutes "Bauchgefühl" eingestellt. Frei assoziiere ich "Spiritismus" und "mediumistische Zirkel". Der Name "Hellinger" ist schon des öfteren gefallen, von dem sich wohl der Bundesverband systemische arbeitender Therapeuten distanziert.

Allerdings habe ich mich bisher auch nicht eingehend mit der Sache beschäftigt. Ist habe nur gehört, dass es sich bei "Familienaufstellung" um ein gruppentherapeutisches Verfahren handelt, in dem bestimmte Familienmitglieder von Gruppenmitgliedern verkörpert und vom "Aufsteller" in bestimmten räumlichen Positionen relativ zur Klientin aufgstellt werden. Das Ganze soll so ablaufen, dass die "Aufgestellten" dann quasi die Befindlichkeit der Person (oder sogar Sache), die sie repräsentieren, direkt "empfangen" und darüber Auskunft geben können.

Dass das Ganze nun beliebig "ritualhaft" im Sinne symbolischer Problemlösung und weltanschaulich aufgemotzt werden könnte liegt auf der Hand. Allerdings frage ich mich dabei:

1. Hilft es den Betroffenen im Sinne von Emanzipation?
2. Ist eine philosophisch-esoterische Aufblähung überhaupt nötig? Nötigt man der Klientin bzw. dem Klienten nicht auch eine (die eigene) Weltsicht auf? Reframing im eigenen Sinne, sozusagen.
4. Sind die emotionalen Prozesse, die losgetreten werden könnten nicht vielleicht ein bischen heftig und können diese überhaupt aufgefangen werden?
5. Werden die Aufgestellten durch die Identifikation mit einer unbekannten Person oder Sache, wie z.B. einer Krankheit ("der Krebs") nicht emotional überfordert und sozusagen durch "Aufweichung der Ich-Grenzen" psyschisch kontaminiert?
6. Hat der Aufsteller strukturell nicht sowas wie eine "Gururolle" inne?

Eine Dame, mit der ich gesprochen habe, und die als Gast bei einer Aufstellung mitgemacht hat, empfand das Erlebnis durchaus als bedrohlich, was auch nicht in irgendeiner Weise durch den Therapeuten nachbereitet wurde.

Natürlich will ich das Verfahren hier nicht generell als schlecht darstellen, das wäre auch denjenigen, die davon bisher profitiert haben unfair.

Allerdings frage ich mich aus Sicht des Kunden, wie kann ich denn eigentlich "schwarze" von "weißen" Schafen unterscheiden. Da sind Amidelanuits Anmerkungen schonmal hilfreich.
jochmet - 22. Apr, 00:40

Hosianna! Hier gehts ja denkermässig zur Sache! :-))

Zu 1: Emanzipatorisch? Im Idealfall ein klares ja. Alte aufgezwängte Muster werden bewusst und können wenn passt angenommen oder abgegeben werden.
2. Andere Weltsicht? Nicht zwangsläufig verkehrt.
4. Prozesse sind heftig und können vermutlich nicht an einem Wochenende aufgefangen werden. Aufstellung hat eine "Booster-Funktion" in einem längeren Klärungsprozess.
5. "Kontamination" ist gut denkbar. Im Positiven profitiert der passive Gruppenteilnehmer aber auch von den Aktiven.
6. Ja. Idealisierungen, aber auch Entwertungen des Therapeuten kommen in jeder aufdeckenden Therapie vor und müssen früher oder später durchgearbeitet werden. Das geht allerdings nicht an einem Wochenende.

Mit mahnendem Gruß

http://www.dogen-zen.de/cgi-bin/zen?content=show_text&nr=11
georg (Gast) - 22. Apr, 10:57

Interessant. Habe gestern mit einer befreundeten Therapeutin gesprochen. Ihre Meinung war recht ausgewogen. Zum Punkt "Kontamination" meinte Sie, dass ein rollenspielerischer Perspektivwechsel ganz förderlich sein und Einsicht in die eigene Lage und die Lage anderer bringen kann. Problematisch wäre es, wenn die durch eine einmalige Sitzung ausgelöste Prozesse, nicht in einen therapeutischen Prozeß eingebetten wären.

Danke für den Input, mir ging es haupsächlich darum, meine "Vorurteile" mal an den Meinungen aderer zur relativieren.
jochmet (Gast) - 23. Apr, 08:22

Gern geschehen. Dank auch von meiner Seite. Endlich mal eine richtige Fachdsiskussion hier.
le-f (Gast) - 21. Apr, 19:10

einladung

i know: sehr spät, aber trotzdem: heute abend trinke ich schnaps wegen geburtstag morgen. wenn ihr lust habt... im h8!

georg (Gast) - 21. Apr, 20:19

Mann, le-f,

gerne würde ich im H8 mal wieder einen Schnaps trinken, allerdings wäre die Anfahrt etwas lang.
jochmet (Gast) - 21. Apr, 21:41

Bin dabei. Hab extra eine Nacht bei den Anthros sausen lassen.

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